An der Leine - Wer bewegt wen?
- Sigrid Ackert
- 14. Dez. 2023
- 5 Min. Lesezeit

Die Leinenführigkeit ist ein riesen Thema bei jedem Hundehalter. Natürlich soll mein Hund in normalen Altagssituationen, wie beim Spaziergang im Wald, bei Hundebegegnungen oder in der Stadt, nicht an der Leine ziehen, in die Leine springen oder mich gar in der Gegend herumziehen. Es ist einfach total nervig, macht keinen Spaß, ist anstrengend und womöglich machen das meine Schulter oder mein Handgelenk nicht dauerhaft problemlos mit. Wer will denn schon von den anderen Hundeführern als unfähig belächelt oder mit klugen Ratschlägen bombardiert werden?
Führe ich einen Leinenrowdy dann noch jagdlich, kommt eine weitere Dimension hinzu. Immerhin führe ich neben dem Leinenrowdy auch ein Gewehr mit mir, würde natürlich auch gerne treffen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt und bewege mich mit meinem Jagdhund nicht irgendwo, sondern direkt am für den Hund triebauslösenden Reiz. Hält mein Leinenrowdy die Leine immer gut auf Spannung in Erwartung gleich seinen Job machen zu dürfen, bin ich doch eher damit beschäftigt ihn genervt im Zaum zu halten um im oftmals unwegsamen Gelände nicht zu straucheln, als meine Aufmerksamkeit auf vermeintliche Jagdgelegenheiten zu richten. Das Treffen bewegten Wildes mit der Flinte wird sicherlich nicht leichter, wenn mein Hund an mir zerrt. Im Extremfall könnte es sogar zu einer unkontrollierten Schussabgabe führen. Dieses Risiko ist inakzeptabel!
Nur was ist zu tun?
Stellen Sie sich zunächst ernsthaft folgende Fragen:
Wer geht hier eigentlich mit wem? Sie mit ihrem Hund oder ihr Hund mit ihnen...
Warum zerrt Ihr Hund an der Leine? Etwa, weil er es kann, halt darf oder Sie es womöglich nicht so schlimm finden...
Wer achtet eigentlich auf wen?
Kommen Sie bei der Beantwortung dieser Fragen zu dem Ergebnis, dass Ihr Hund doch eher das Zepter in der Hand hat, dann sind Sie genau an dem Punkt angelangt, um den es bei der Leinenführigkeit geht! Viele reiben sich hier angekommen leider an Äußerlichkeiten ab, und werden quasi zum Produkttester. Geschäftstüchtige Anbieter haben das natürlich erkannt und bieten eine Vielzahl an Leinen, Halsbändern, Geschirren und vermeintlich unterstützendem Equipment an. Perfekt ausgestattet begeben sich die meisten problemlösungswilligen Hundeführer nun in ein Karussell aus wärmstens empfohlenen Techniken, zumeist mit eher mäßigem Erfolgen. All das hätte man sich sparen können, wenn man nach der ersten Erkenntnis, dass offensichtlich der Hund in diesem Reigen am Ruder ist, den - zugegeben unangenehmen - Blick in den Spiegel vertieft hätte.
Denn worum geht es wirklich?
Es geht einzig und alleine darum, wer in der Lage ist, wen zu bewegen. Wer bestimmt die Richtung, die Geschwindigkeit, die Pausen? Oder noch klarer: Wer ist "Herrscher über den Raum"?
Stellen Sie sich einfach mal ein Tanzpaar vor in klassischer Tanzhaltung. Beide sind eng miteinander verbunden, in etwa so, wie Sie mit Ihrem Hund durch die Leine. Jeder Tänzer beherrscht seine Schritte zwar perfekt, ist die Führungsrolle allerdings nicht klar verteilt, muss ich wohl nicht weiter ausführen, was herauskommt. Nur beim klassischen Tanz ist klar vordefiniert, wer führen darf/muss.
Hunde sind Rudeltiere, sie wollen bzw. müssen miteinander auskommen, da es im Grunde ihr Überleben sichert. Mit Hilfe ihrer Kommunikationsmöglichkeiten klären sie umgehend ab, wer den Ton angibt und damit Verantwortung für die Gruppe übernimmt. Hier geht es nicht darum, dass ein Tyrann alle unterjocht, sondern vielmehr darum, dass jedes Gruppenmitglied im Rahmen seiner individuellen Kompetenzen Verantwortung für einen bestimmten Bereich übernimmt zum Wohle aller. Dieses Gefüge sichert letztlich das Überleben des Rudels und schafft Ruhe und Vertrauen untereinander. Hält man sich dies vor Augen, dann ist die Rolle desjenigen, der die Richtung vorgibt, die wahrscheinlich wichtigste Rolle in diesem Gefüge. Sie MUSS unbedingt besetzt sein! Diese Überlebensprinzipien sind so tief in unseren Hunden verankert, dass jeder Hund, egal welche individuellen Kompetenzen er hat, eine vakante Führungsrolle übernehmen MUSS. Nach dem Motto, lieber führe ich, bevor wir führungslos sind.
Da in der Mensch-Hund-Beziehung die Führungsrolle nicht wie beim klassischen Tanz vordefiniert ist, bedarf sie der Klärung untereinander. Erfolgt diese Abstimmung nicht, übernimmt automatisch der Hund die Führung, denn er MUSS. Er bestimmt selbstverständlich über die Richtung, er beherrscht den Raum. Eine Leine wird ihn niemals davon abhalten, maximal behindern oder einschränken. Spätestens jetzt sollten Sie sich nicht mehr darüber wundern, warum ihr Hund an der Leine zieht, oder?
Solange Sie diesen kompromisslosen Führungsanspruch nicht erheben und nachhaltig durchsetzen, wird Ihr Hund diese Aufgabe übernehmen und Sie weiter an der Leine hinter sich her ziehen. Für Ihren Hund ist das eine Frage des Überlebens, wohingegen es für Sie eigentlich nur ein Spaziergang ist, der angenehm verlaufen sollte. Der Unterschied ist, dass Sie es schaffen können, sich in die Wertigkeit des Hundes hinein zu versetzen. Letztlich ist es auch Ihre Verpflichtung, da Ihr Hund diese Transferleistung sicherlich nicht hinbekommen wird.
Vielleicht hilft folgendes drastische Beispiel: Stellen Sie sich vor, sie fahren ca. 130 km/h auf der mittleren Spur einer stark befahrenen Autobahn. Ihr Beifahrer greift Ihnen immer wieder ins Steuer. Sie laufen dadurch Gefahr, die Kontrolle über das Auto zu verlieren und einen Unfall mit verheerenden Folgen für Sie und andere zu verursachen. Würden Sie die Führung über das Fahrzeug abgeben oder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, diese bedrohliche Situation in den Griff zu bekommen? Wollen Sie der "Beifahrer" Ihres Hundes sein, der nervig an der Leine herumzerrt ohne einen blassen Schimmer davon zu haben, wie wachsam man in dieser Umgebung sein muss, in der sich so viele andere Hunde herumtreiben, eine Begegnung bevorsteht oder, oder, oder.
Sobald Sie die Notwendigkeit einer klaren Führungsrolle im Mensch-Hund-Team verinnerlichen und bereit sind, diese auch zu übernehmen, weil sie erkennen, dass die Übernahme dieser Führungsverantwortung Ihren Hund entspannen läßt, werden die vielfältig angebotenen Techniken, wie z.B. Leinenführigkeit zu etablieren, wie von Geister Hand Früchte tragen. Denn es geht nicht um Technik A oder B, sondern um Ihre innere Haltung zur Notwendigkeit von Führung und zur Bereitschaft diese zu übernehmen. Gegenüber Ihrem Hund bedarf es dann nicht mal mehr Worte, denn er kann nicht nur diese innere Überzeugung riechen, sondern versteht auch Ihre unmissverständliche Körpersprache, die automatische Folge Ihrer inneren Überzeugung sein wird.

Sie können das einfach überprüfen, indem Sie mit einem fremden Hund, von dem Sie lediglich wissen, dass er bei seinem Führer ordentlich an der Leine laufen kann, einen Slalom Parcours z.B. um Bäume laufen ohne Einwirkung auf die lockere Leine, die Sie mit diesem Hund verbindet. Folgt Ihnen dieser Hund, dann sind Sie offensichtlich in der Lage Führung zu vermitteln.
Folgt Ihnen der Hund nicht und macht sein Ding, spüren Sie sofort, dass Sie offensichtlich keine Wirkung auf diesen Hund ausstrahlen, er wird Sie vorführen. Es wird sich wahrscheinlich erbärmlich anfühlen. Überlegen Sie nun, was Sie sich gedacht haben, als Sie die Leine übernommen haben. Waren es in etwas Sätze, wie "Oh, hoffentlich bekomme ich das hin.", "Ach, Hund sei so nett und komm doch mit mir mit, bitte, bitte.", "Du bist so süß und ich meine es wirklich nur gut mit Dir." etc.?
Mal ehrlich, wären Sie sich selber gefolgt? Kein Grund auf zu geben! Reichen Sie den Hund zurück an seinen Führer und versuchen es gleich erneut.
Allerdings vergegenwärtigen Sie sich nun die eben geschilderte Situation auf der Autobahn und stellen sich vor, dass ein verheerender Unfall passieren wird, wenn dieser Hund Ihnen beim 2. Versuch auch nicht folgen sollte. Ihr Leben und das Leben dieses Hundes hängt davon ab, dass er Ihnen nun auf dem Slalom-Baum-Parcour folgt. Hierzu gibt es keinerlei Alternative. Sie können doch weder Ihr Leben, noch das Leben diesen Hundes gefährden. Das ist jetzt ganz alleine Ihr Job. Kein anderer darf das übernehmen, sonst sind Sie unwiederbringlich verloren.
Nehmen Sie mit diesem "Mindset" nun den Hund und gehen los. Ich verspreche Ihnen, es wird anders sein, vielleicht nicht perfekt, aber jedenfalls nicht mehr erbärmlich, wie eben. Jedenfalls sollten Sie ein Gefühl dafür bekommen haben, wie Sie auf hündisch "Herrscher über den Raum" sein können, nicht wahr?
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